Fanny Crosby (1820-1915)

Toyohiko Kagawa

Dichterin geistlicher Texte und Lieder

Frances Jane Van Alystyne, besser bekannt unter ihrem Pseudonym Fanny J. Crosby, hinterließ uns ein Vermächtnis von über 9.000 Kirchenliedern, was umso bemerkenswerter ist, als sie fast ihr ganzes Leben lang blind war.

Behinderung wird zur Stärke

Fanny wurde 1820 in Putnam County, New York, geboren. Im Alter von sechs Wochen erkrankte sie an einer banalen Erkältung, doch als ein Arzt ihre entzündeten Augen mit einer heißen Senfpackung behandelte, erblindete sie. Später sagte sie, sie habe dem Arzt nie einen Vorwurf gemacht, sondern immer geglaubt, der Herr habe es zugelassen. Sie war sich auch sicher gewesen, dass sie niemals so viel in ihrem Leben hätte erreichen können, wenn sie ihr Augenlicht behalten hätte.

Als Fanny fünf Jahre alt war, sammelten Nachbarn und Freunde genug Geld, um sie zu einem berühmten Chirurgen zu schicken. Nachdem er sie untersucht hatte, sagte er: „Armes kleines blindes Mädchen“. Dieses Erlebnis motivierte die junge Fanny, sich durch ihre Sehbehinderung nicht unglücklich machen oder sich von einem sinnvollen Leben abhalten zu lassen. Sie ließ auch nicht zu, dass andere Menschen sie wegen ihrer Blindheit bemitleideten.

Bildung

Als Kind hatte Fanny eine unwiderstehliche Leidenschaft für Wissen, ein starkes Bedürfnis nach Bildung und ein außergewöhnliches Gedächtnis. Ihre Familie las ihr oft Texte aus der Bibel und Gedichte vor. Ihre Großmutter übte einen besonders starken und positiven Einfluss auf sie aus, und sie verbrachten viele Stunden zusammen auf den Wiesen.

Als Fanny neun Jahre alt war, zog die Familie nach Connecticut, wo sie sechs Jahre lang von einer Christin, Frau Hawley, unterrichtet wurde, die sie auch mit vielen guten literarischen Werken bekannt machte. Ihre Lehrerin half ihr, sich eine gründliche Kenntnis der Bibel anzueignen, indem sie Fanny vier oder fünf Kapitel pro Woche auswendig lernen ließ. Nach einem Jahr hatte sie die vier Evangelien und einen großen Teil der ersten vier Bücher des Alten Testaments im Gedächtnis eingeprägt.

Fanny interessierte sich besonders für Poesie und zeigte schon sehr früh ihr Talent zum Schreiben. Einige ihrer Texte schickte sie an ihren Großvater, der sie dabei sehr unterstützte.

Mit 15 Jahren trat Fanny in das New Yorker Institut für Sehbehinderte ein und erwies sich als eine der begabtesten und beliebtesten Schülerinnen. Der Unterricht dort umfasste die Bibel, Die Pilgerreise [John Bunyans Pilgrim's Progress, Anm. des Übersetzers] sowie anspruchsvolle Prosa und Poesie. Fannys Lieblingsfächer waren englische Geschichte, Philosophie und Naturwissenschaften. Sie liebte den Gesangsunterricht und lernte Orgel, Gitarre und Klavier zu spielen. Ihren Abschluss machte sie 1842 im Alter von 22 Jahren.

Erfahrungen als Lehrerin

Nach ihrem Abschluss wurde Fanny als Lehrerin an der Bildungseinrichtung angestellt, eine Position, die sie 15 Jahre lang innehatte. Sie erwies sich als eine gute Lehrkraft, da sie die jungen Menschen, mit denen sie arbeitete, liebte und Sympathie für sie empfand. Viele ihrer Schüler bezeugten den Einfluss, den sie auf ihr Leben hatte.

Während ihrer Lehrtätigkeit an der Institution blühte Fannys literarische Talent auf. Sie knüpfte zahlreiche Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten, darunter einige spätere Präsidenten. Zwei ihrer Gedichtbände wurden noch während ihrer Zeit an der Institution veröffentlicht, ein dritter kurz nach ihrem Ausscheiden. Sie wurde zum „Poet Laureate“ dieses Institutes [Dichterkönigin, Anm. des Übersetzers] ernannt.

Eines Tages kam eine Mutter mit ihrem Sohn, einem jungen Mann, der vor kurzem erblindet war, und bat darum, ihn als Schüler in die Bildungseinrichtung aufzunehmen. Die Mutter war von Miss Crosby so beeindruckt, dass sie sie bat, seine persönliche Tutorin zu werden. Der Name des Schülers war Alexander Van Alstyne. Er war der Mann, den Fanny 1858 heiratete, dem Jahr, in dem sie das Institut verließ. Van Alstyne war ein gläubiger Christ und begabter Lehrer, der sogar die Musik zu einigen von Fannys Liedern komponierte. Sie führten eine offensichtlich glückliche Ehe, die 44 Jahre bis zu seinem Tod im Jahr 1902 dauerte.

Weihung an Gott

1850, im Alter von 30 Jahren, sehnte sich Fanny nach innerem Frieden und nahm an Erweckungsversammlungen teil, die in einer örtlichen Methodistenkirche abgehalten wurden. Eines Abends, nach dem Gebet, begann die Gemeinde das Lied „Alas! and Did My Savior Bleed?“ zu singen [dt. Ach, und hat mein Erlöser geblutet?, Anm. des Übersetzers]. Als sie die dritte Zeile der letzten Strophe sangen: Hier, Herr, gebe ich mich hin; das ist alles, was ich tun kann, gab sich Fanny ihrem Erlöser hin, sprang auf und rief „Halleluja“. Von da an wurden Fannys Talente und ihre Arbeit zur Ehre ihres Gottes und zur Ehre ihres Erlösers eingesetzt.

Ihr Lebenswerk

In ihrem früheren Leben hatte sich Fannys literarisches Schaffen ausschließlich auf Gedichte konzentriert, doch das änderte sich 1864, als sie einen Mann namens William B. Bradbury kennenlernte, der als Vater der populären Sonntagsschulmusik in Amerika gilt.

Bradbury hatte jahrelang gehofft, jemanden zu treffen, der Texte zu seinen Melodien schreiben erfassen könnte. Als er Fanny traf, schlug er ihr vor, gemeinsam ein Lied zu schreiben. Das Ergebnis war ein Missionslied mit dem Titel „There's a cry from Macedonia“ [dt. Es erschallt ein Ruf, Anm. des Übersetzers], und damit begann ihre Arbeit als Dichterin von Kirchenliedern. Die nächsten vier Jahre bis zu seinem Tod arbeitete sie mit Bradbury zusammen. Im Laufe der Zeit schrieb Fanny auch Texte für eine Reihe anderer Komponisten, darunter Ira D. Sankey.

Ebenfalls im Jahr 1864 lernte Fanny William Doane kennen. Gemeinsam mit ihm schrieb sie das erste ihrer weltberühmten Kirchenlieder mit dem Titel „Pass Me Not, O Gentle Savior“ [dt. Gehe nicht vorbei, o Heiland - Übersetzer C. Ott]. In diesem Lied drückte sie, wie so oft in der folgenden Zeit, ihre sehr innige persönliche Beziehung zu Jesus aus, die das Thema ihrer gedichteten Liedtexte war. Die wörtliche Übersetzung der ersten beiden Strophen des Liedes lautet:

Gehe nicht an mir vorbei, o gnädiger Erlöser, höre meinen demütigen Schrei:
Während Du anderen ein Lächeln schenkst, gehe nicht an mir vorbei.
Lass mich süße Erleichterung finden am Thron der Barmherzigkeit;
Dort kniend in tiefer Reue, hilf meinem Unglauben.

„Sicher in Jesu Armen”

Es gibt so viele Geschichten, die mit Fannys Liederdichtung verbunden sind. Eine der eindrucksvollsten handelt von einem Tag im Jahr 1868, als Mr. Doane in großer Eile an Fannys Tür klopfte. Er sagte zu ihr, er müsse in 40 Minuten einen Zug erreichen, habe aber er habe eine neue Melodie komponiert, die sie unbedingt hören müsse. Nachdem er sie vorgespielt hatte, fragte er Fanny, was die Melodie „sagen“ würde. In wenigen Augenblicken sang Fanny das, was später zu einem der ergreifendsten Lobgesänge aller Zeiten werden sollte, ein Lied, das unzählige Mütter getröstet hat, die ein Kind durch den Tod verloren hatten. In diesem Lied heißt es unter anderem wörtlich [das gesamte Lied wurde von Dora Rappard 1875 ins Deutsch übertragen, Anm. des Übersetzers]:

Sicher in Jesu Armen, sicher an Seiner zärtlichen Brust, 
dort von Seiner Liebe beschattet, wird meine Seele süß ruhen.

Einige ihrer anderen bekanntesten Lieder sind: Rescue the Perishing; Jesus Keep Me Near the Cross; The Bright Forever; Close to Thee; Savior, More Than Life to Me; I Am Thine, O Lord und Blessed assurance [Rettet die Irrenden, Sucht die Verlorenen - Übersetzer W. Rauschenbusch; Jesus, zieh zum Kreuze mich - Übersetzer W. Rauschenbusch; Der Lichterglanz der Ewigkeit; Nah bei Dir; Erlöser, mehr als Leben für mich; Ich bin dein, o Herr - Übersetzer B. R. Grimmell und Seligstes Wissen: Jesus ist mein - Übersetzer H. Rickers; Anm. des Übersetzers].

Begabung zum Dichten geistlicher Lieder

Fannys Gedächtnis war eine ihrer segensreichsten Gaben. Als sie 86 Jahre alt war, schrieb sie: „Wenn man mir etwas Zeit gäbe, könnte ich aus den Archiven meines Gedächtnisses Hunderte, wenn nicht Tausende von Hymnen hervorholen, die ich in den sechzig Jahren geschrieben habe, in denen ich meinen Erlöser durch das Medium des Liedes verherrlicht habe“. Sie war der Meinung, dass jeder sein Erinnerungsvermögen fördern kann und sollte.

Fanny Crosby war eine produktive Songschreiberin, aber sie zwang sich die Worte nie auf, sie kamen ihr oft spontan. Sie schrieb ihre Hymnen nie auf, sondern komponierte sie zuerst vollständig in ihrem Kopf und ließ sie dann von einem Schreibgehilfen aufzeichnen. Es heißt, sie habe gleichzeitig an einem Dutzend Hymnen in ihrem Kopf gearbeitet.
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