Dietrich Bonhoeffer (1906 - 1945)

- Bonhoeffer mit seinen Schülern (1932)

„Ich habe kaum jemals einen Menschen gesehen, der dem Willen Gottes so unterworfen war.“

- Das religiöse Gedicht (vollständiger Text am Ende des Artikels) verfasste Bonhoeffer im Dezember 1944 in der Gestapo-Haft. Es ist sein letzter erhaltener Text vor seiner Hinrichtung am 9. April 1945.

„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

 - Gedenktafel an Dietrich Bonhoeffer am Zionskirchplatz (Berlin-Mitte)

Der Preis seiner „Nachfolge“

EIN ZURÜCKHALTENDER MENSCH, ABER EIN FÜRSORGLICHER FREUND - so lautet eine Beschreibung dieses mutigen Christen, der wagte, den groben Ungerechtigkeiten des Nazi-Regimes im Hitlerdeutschland während der 1930er und 1940er Jahre entgegenzutreten. Unvergessen als Theologe und Autor, Pastor und Lehrer, wurde sein bedeutender Platz in der Geschichte durch sein Martyrium für die Sache gesichert, für die er von früher Jugend gekämpft hatte.

Geboren als das sechste von insgesamt acht Kindern von Karl und Paula Bonhoeffer im ostdeutschen Breslau (heute Wrocław, Polen), wurde Dietrich in seinen früheren Jahren durch seine Mutter, einer der wenigen Frauen, die damals einen Universitätsabschluss hatte, ausgebildet. Vater Karl war ein angesehener Professor für Psychiatrie und Neurologie und die junge Familie wuchs inmitten der akademischen Kreise der Berliner Universität auf. Paula brachte ihren Kindern bei, wie wichtig ein starker moralischer und intellektueller Charakter sei, den sie alle gern vermehrt teilen wollten, was ihre spätere Haltung gegen ein korruptes Regime bewies.

Der christliche Dienst

Im Alter von 18 Jahren begann Dietrich theologische Studien an den Universitäten in Tübingen und Berlin und drei Jahre später wurde ihm ein Doktortitel mit Auszeichnung für seine Desertation sanctorum communio [deutsch: „Gemeinschaft der Heiligen“] verliehen. Nachdem er eine Weile als Vikar in der deutschen evangelischen Kirchengemeinde von Barcelona gedient hatte, ging er 1930 nach New York und studierte an dem Union Theological Seminary. Gleichzeitig arbeitete er auch in der Abessinischen Baptistenkirche in Harlem [Kaiserreich Abessinien war bis 1974 eine ostafrikanische Monarchie auf dem Gebiet der heutigen Staaten Äthiopien und Eritrea]. 1931, im Alter von nur 25 Jahren, kehrte Dietrich nach Berlin zurück, um die Stelle als Dozent für systematische Theologie an der Universität zu übernehmen, und später in diesem Jahr wurde er zum Geistlichen der protestantischen Deutschen Evangelischen Kirche geweiht. 

Hitlerdeutschland

Seit ihren frühen Anfängen wurde die Kirche durch Nationalismus und staatliche Autorität beeinflusst, und diese Tradition, zusammen mit Hitlers Auftreten als einen starken neuen Anführer, bewegte viele deutsche Protestanten dazu, den Aufstieg des Nationalsozialismus zu fördern. Die Schikanierung von „Nicht-Ariern“ – insbesondere der jüdischen Bevölkerung, der aufgrund staatlicher Gesetzgebung verboten wurde, im öffentlichen Dienst zu arbeiten – wurde 1933 von der Kirche gebilligt und somit wurde danach jenen jüdischer Abstammung verboten, Geistlicher oder Religionslehrer zu werden. Bonhoeffer protestierte heftig gegen diese Politik. Er argumentierte, dass, wenn Nicht-Arier aus dem Dienst verbannt würden, auch ihre Kollegen als Demonstration verpflichtender Unterstützung zurücktreten sollten, selbst wenn dies zur Gründung einer anderen Kirche, frei vom Einfluss der Nazis, führen würde. Seine Aufrichtigkeit bewies er, indem er eine Ernennung zum Pastor in einer Berliner Gemeinde ablehnte.

In die Wüste

Als er sich mit den meisten seiner Freunde in der Frage des zunehmenden deutschen Antisemitismus uneinig war und sich für die Feigheit der christlichen Staatskirche schämte, wurde Bonhoeffer Ende 1933 Gemeindepfarrer deutschsprachiger Kirchengemeinden in London. Indem er an einen Freund schrieb, erklärte er seine Entscheidung: 

„Es war Zeit, für eine Weile in die Wüste zu gehen.“ 

Er diente in der Deutschen Evangelischen Kirche in Sydenham und in der Reformierten Kirche von St. Paul in London. Seine Gemeinde wurde bald zum Zufluchtsort für christliche und jüdische Flüchtlinge.

Die Bekennende Kirche

Von den wachsenden Ungerechtigkeiten und der Selbstgefälligkeit der Evangelischen Kirche insgesamt war eine Minderheit deutscher Christen so bestürzt wie Bonhoeffer. Eine Gruppe von Protestierenden, die sich außerstande sah, mit den Nazis in kirchlichen Angelegenheiten zusammenzuarbeiten, gründete im Mai 1934 offiziell die Bekennende Kirche, die sich verschrieben hatte, frei von den Einflüssen des Nationalsozialismus zu bleiben. Bonhoeffer war ein Gründungsmitglied. Seine Londoner Gemeinde und andere deutschen Kirchengemeinden in England traten aus der offiziellen Deutschen Evangelischen Kirche aus und unterstützen die neue Bekennende Kirche.
 
1935 kehrte Bonhoeffer nach Deutschland zurück und übernahm die Leitung des Predigerseminars der Bekennenden Kirche. Seine Studenten hatten eine ungewisse Zukunft, da die offizielle Kirche sie daran hinderte, eine Stelle zu bekommen. Die neue Kirche stand jedoch unter wachsendem Druck der Gestapo. Während einige Mitglieder begonnen hatten, Juden zu helfen, weigerten sich anderen, die „Judenfrage“ aufzugreifen und schlugen sogar eine Resolution vor, die das Recht des Staates, die Angelegenheiten jüdischer Bürger zu regeln, ausdrücklich unterstützte.

Bonhoeffer war über den Mangel der Solidarität sehr beunruhigt, setzte jedoch seine Lehrtätigkeit im Seminar bis August 1937 fort, als Himmler ein Dekret erließ, in dem Ausbildung und Prüfung von zukünftigen Geistlichen der Bekennenden Kirche für illegal erklärt wurde. Das Seminar wurde von der Gestapo geschlossen und 27 der ehemaligen Studenten von Bonhoeffer wurden bis November verhaftet.

Der heimliche Dienst

In den nächsten zwei Jahren bereiste Bonhoeffer heimlich die Dörfer der ostdeutschen Gebiete und beaufsichtigte seine Studenten, von denen viele illegal in kleinen Gemeinden arbeiteten. Auf Konferenzen in ganz Europa vertrat er energisch die Sache der Bekennenden Kirche und forderte die ökumenische Bewegung hinsichtlich ihrer theologischen Grundlagen und ihrer Verantwortung für den Frieden heraus. Bonhoeffer war sich jedoch dessen bewusst, dass die Gestapo ihn genau beobachtete, und beschränkte seine öffentlichen Predigten.

Reichspogromnacht

Diese Nacht vom 09. auf den 10. November 1938, die auch zynisch „Kristallnacht“ (Nacht des zerbrochenen Glases) genannt wird, ist das einzig gekennzeichnete Datum in der Bibel von Dietrich Bonhoeffer. Am Tag nach den Zerstörungen der Reichspogromnacht – einem geballten Angriff auf Juden und ihre Häuser, Synagogen und Geschäfte - markierte er das Datum neben dem Psalm 74, Vers 8:
 
„Sie sprechen in ihrem Herzen: ‘Lasst uns sie plündern!‘ Sie verbrennen alle Häuser Gottes im Lande ... Ach Gott, wie lange soll der Widersacher schmähen und der Feind deinen Namen so gar verlästern?“ [Ps. 74:8, 10 – LUT 1912]

Nachdem sich Bonhoeffer Hitler und der Nazi-Partei bisher nur in ideologischer Hinsicht widersetzt hatte, wendete er sich zunehmend gegen den Führer und seine Partei. Er dachte ernsthaft darüber nach, Deutschland zu verlassen, da er wusste, dass ein Krieg unvermeidlich war und er niemals in Hitlers Armee kämpfen würde. Als ihm eine Stelle am Union Seminary in New York angeboten wurde, brach er im Juni 1939 auf. Als er aber ankam, hatte er seine Meinung geändert. Er schrieb an einen Freund: 

„Es war ein Fehler von mir, nach Amerika zu kommen. Ich muss diese schwierige Periode unserer nationalen Geschichte mit den Christen in Deutschland durchleben. Ich werde kein Recht haben, an der Wiederherstellung des christlichen Lebens nach dem Krieg in Deutschland mitzuwirken, wenn ich diese Prüfung dieser Zeit nicht mit meinem Volk teile.“
- Zitat in „Dietrich Bonhoeffer: Eine Biographie“ von Eberhard Bethge; Christian Kaiser Verlag, München, 1967

Die deutsche Widerstandsbewegung

Dietrich Bonhoeffer begegnete zum ersten Mal dem organisierten deutschen Widerstand Anfang 1939. Sein Schwager Hans von Dohnanyi war dessen Mitglied und als Rechtsanwalt arbeitete er zusammen mit Admiral Wilhelm Canaris und Generalmajor Hans Oster im militärischen Geheimdienst des Oberkommandos der Wehrmacht [Spionageabwehr]. Beide teilten seine politischen Ansichten und das Büro wurde zum Zentrum der Konspiration und des Widerstandes.
 
Im Oktober 1940 begann Bonhoeffer als Agent des Militärischen Geheimdienstes zu arbeiten, um vermeintlich die Unterstützung des Nationalsozialismus in seinen ökumenischen Kreisen zu gewinnen. In Wirklichkeit aber nutzte er seinen Einfluss, um Informationen über die Widerstandsbewegung zu verbreiten. Beim Besuch verschiedener europäischer Länder versuchte er, sie davon zu überzeugen, dass einige Gesten der Unterstützung von Seiten der Alliierten für die deutsche Konspiration von entscheidender Bedeutung wären, um Hitler zu stürzen. Die verbündeten Regierungen waren jedoch skeptisch und nicht vorbereitet, solche Forderungen anzunehmen.

Unternehmen Sieben

Unternehmen Sieben, auch Operation U-7 genannt, war ein Plan, Juden mit gefälschten Visen aus Deutschland zu schleusen. Die ersten 14 erreichten die Schweiz im September 1942 sicher, aber die Gestapo entdeckte die beträchtlichen Mittel, die für ihre Unterstützung zur Verfügung gestellt wurden. Sie verfolgte das Geld zurück und verhaftete Dohnanyi und Bonhoeffer im April 1943. Dietrich wurde angeklagt wegen:
  • der Verschwörung zur Rettung von Juden,
  • der Nutzung seiner Auslandsreisen nicht für Angelegenheiten des Geheimdienstes,
  • des Missbrauches seiner geheimdienstlichen Position, Pastoren der Bekennenden Kirche vor dem Militärdienst zu bewahren und für sein eigenes ökumenisches Werk.  

Der Preis der „Nachfolge“

Obwohl Bonhoeffer an einem gescheiterten Attentat auf den Führer teilgenommen hatte, dauerte es lange, bis die Nationalsozialisten das volle Ausmaß seiner Beteiligung an der Widerstandsbewegung erkannt hatten. Nachdem er erst in Berlin inhaftiert, dann nach KZ Buchenwald und schließlich in das Konzentrationslager Flossenbürg verlegt wurde, wurde Dietrich Bonhoeffer am 9. April 1945 zusammen mit anderen Verschwörern gehängt. Sein Bruder Klaus und sein Schwager Dohnanyi wurden einige Tage später hingerichtet. 
Bonhoeffers Schriften enthüllen einen zutiefst religiösen Menschen, der sich Sorgen über die Säkularisierung der Welt und die Abkehr von den religiösen Werten im 20. Jahrhundert machte. Das Buch „Nachfolge“, veröffentlicht im Jahr 1937, ist eine Interpretation der Bergpredigt und fordert eine grundlegende Änderung des Lebens, wenn der Christ ein echter Nachfolger Christi sein soll. Die Briefe von Dietrich Bonhoeffer aus dem Gefängnis verraten keinen gequälten Kampf oder einen Geist der Rebellion. Vielmehr bemerkte später der SS-Arzt, der seinen Tod bezeugte:

„Ich habe kaum jemals einen Menschen gesehen, der dem Willen Gottes so unterworfen war.“
 
Das geistliche Gedicht „Von guten Mächten treu und still umgeben“, das im Dezember 1944 von Bonhoeffer verfasst wurde, gilt als sein letzter theologischer Text und zeugt einzigartig von seiner geistigen Verfassung:


Von guten Mächten

1. Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

2. Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.

3. Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.

4. Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.

5. Laß warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.

6. Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so laß uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.

7. Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiß an jedem neuen Tag.

- Dietrich Bonhoeffer -

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